Achtsamkeitsübungen für den Alltag, die uns entspannter machen
Innere Unruhe kennen wir alle. Unser Alltag ist häufig von Stress geprägt. Auf der Suche nach Lösungen, fällt schnell der Begriff Achtsamkeit. Was ist das? Und wie kann ich achtsamer durch den Alltag gehen? Darüber haben wir mit Therapeutin Susanna-Sitari Rescio gesprochen.
ForMe: Achtsamkeitsübungen sollen der Schlüssel zur inneren Ruhe sein. Was steckt dahinter?
Susanna-Sitari Rescio: Unter Achtsamkeit verstehe ich eine wertfreie Wahrnehmung dessen, was gerade ist. Ich meine damit nicht das große Ganze, sondern den konkreten Augenblick. Nimm mich als Beispiel: Ich rede mit dir und trinke Tee. Dies passiert jetzt in meinem Leben.
Susanna-Sitari Rescio: Diese Sichtweise ist ungewohnt, nicht? Aber sie kommt ohne Interpretation aus. Ich könnte auch sagen: Ach Mensch, dieser Tee ist aber heiß. Ich wünsce, er wäre nicht so warm, damit ich die Tasse besser halten kann. Aber dann würde ich die Situation negativ aufladen.
ForMe: Es ist also besser, Situationen, weniger zu bewerten, um ausgeglichener zu sein?
Susanna-Sitari Rescio: Richtig. Ein Grund, warum wir Menschen uns das Leben schwer machen, ist, dass wir uns den Moment oft anders wünschen, als er ist. Wenn die Sonne nicht scheint, möchten wir mehr Licht. Wenn es heiß ist, wünschen wir uns Kühle.
ForMe: Das gilt auch für das Zusammenleben mit anderen?
Susanna-Sitari Rescio: Ja, genau. Ein Beispiel: Eine Mutter mit zwei kleinen Kindern, die sich den ganzen Tag mit beiden beschäftigt hat. Sie freut sich schon, dass ihr Partner abends nach Hause kommt und sie sich mit ihm unterhalten kann. Aber er kommt rein, geht wortlos an ihr vorbei und schaut nur auf sein Handy.
ForMe: Vermutlich wäre ich jetzt sauer ...
Susanna-Sitari Rescio: Weil wir gern direkt werten. Diese Frau ist vielleicht wütend, enttäuscht und beginnt ihrem Mann Vorwürfe zu machen. Doch diese Gefühle bauen Stress auf. Dabei ist ihr Bedürfnis, mit dem Partner Zeit zu verbringen, vollkommen in Ordnung. Achtsam wäre es, nicht nur zu beobachten, wie es ihr selbst geht, sondern auch den anderen zu beobachten. Vielleicht braucht ihr Mann zehn Minuten für sich, um runterzukommen. Sobald er aufmerksamer ist, könnte sie wieder auf ihn zugehen. Aber diese Fähigkeiten brauchen natürlich sehr viel Übung. Meditation ist zum Beispiel ein Weg, um das zu trainieren.
ForMe: Durch Achtsamkeitsübungen lernen wir also, nachgiebiger zu werden? Beschränkt das nicht unsere Rechte?
Susanna-Sitari Rescio: Nein, im Gegenteil. Ich komme sogar viel eher auf meine Kosten.
ForMe: Wie meinst du das?
Susanna-Sitari Rescio: Ich verschwende weniger Energie, in dem ich lerne, genauer hinzugucken. Die Chancen, dass der Mann liebevoll auf die Frau zukommt, sind sehr gering, wenn er sie gerade ignoriert hat. Daher wartet sie auf einen Moment, bis er offener ist. Durch Achtsamkeit trainieren wir aber auch die Fähigkeit, zu unterscheiden, welche Probleme gerade lösbar sind und welche nicht.
ForMe: Wir handeln also weniger impulsiv?
Susanna-Sitari Rescio: Genau. Kennst du den Spruch: Zwischen Reiz und Reaktion liegt die Freiheit? Ich beobachte, trete innerlich einen Schritt zurück und reagiere dann. Ich erlaube mir, andere Optionen zu sehen und nicht gleich im Autopiloten zu handeln.
ForMe: Hast du noch weitere praktische Achtsamkeitsübungen für den Alltag?
Susanna-Sitari Rescio: Ich stelle oft die „Insel der Präsenz“ vor. Zur Erklärung: Präsenz ist ein anderer Begriff für Achtsamkeit. Dabei geht es um Folgendes: Ich fokussiere für ein paar Momente sinnliche Empfindungen. Wie schmeckt der Tee? Welche Farben hat die Natur um mich? Oder ich streichle Blumen, einen schönen Stoff oder ähnliches und tauche in diese Eindrücke ein. Man kann beim Laufen aber auch die Füße auf dem Boden spüren oder den Körper auf dem Bürostuhl. Vielleicht schließe ich sogar für einen Moment die Augen und nehme meinen Atem wahr. Mein System entspannt sich dabei und ich bin ganz im Hier und Jetzt.