Alle Achtung: Warum wir eine positive Selbstwahrnehmung lernen sollten


Familie
13/11/2019
Sie dürfen sich ruhig einmal selbst auf die Schulter klopfen. Warum Eigenlob uns und den anderen das Leben einfach leichter macht.

"Fishing for compliments"? Nein, danke!

Vielleicht haben Sie auch so eine Freundin. Wenn Sie an sie denken, fallen Ihnen nur liebenswerte Seiten ein. Gelassenheit, obwohl die Tochter das Studium immer noch nicht beendet hat, Kampfgeist, wenn Kollegen ihr mal wieder Aufgaben unterjubeln wollen, die Fähigkeit, spontan so herumzualbern, und dann noch diese Beine! Und wie spricht die Freundin von sich selbst? Macht sich Vorwürfe wegen des Unkrauts im Garten oder zwei geschwänzter Yoga-Stunden. Sagt, dass sie für die Weiterbildungsangebote in ihrer Firma zu alt sei. Findet ihren Käsekuchen „okay“ und denkt gerne laut über die Mehrzahl von „Doppelkinn“ nach, schließlich habe sie mittlerweile zwei, da sollte sie die Dinger grammatikalisch korrekt bezeichnen können.

Hierauf zu antworten ist ganz schön knifflig. Wahrscheinlich hat die Freundin einfach nach Komplimenten gefischt, weil sie das Bedürfnis nach ein bisschen Anerkennung hatte. Auf den ersten Blick kein Problem, ein paar Nettigkeiten sind leicht gesagt. Wäre da nur nicht dieser bittere Nachgeschmack. War man nur eingeladen, um Bewunderung und Komplimente abzuliefern? Wurden am Ende stillschweigend die Weichen dafür gestellt, dass man ab jetzt für kleinere Aufbauarbeiten am Ego der Freundin zuständig ist? Und aus Sicht der Freundin: Hat es gereicht, ist der Appetit auf Anerkennung nachhaltig gestillt? Wohl kaum. Zudem dürfte auch ihr dämmern, dass sie für diese Form der Anerkennung abhängig ist von anderen.

Selbstlosigkeit – nur in Maßen gesund

Trotz dieser offenkundigen Haken fällt es vielen Frauen leicht, an sich herumzunörgeln. Nebenbei bemerkt: Das machen auch Männer, klar. Wahrscheinlich trommelt sich manches Alphamännchen extralaut auf die Brust, um die Zweifel an sich selbst zu übertönen.

Unser Coach Regina Först trifft in ihren Seminaren aber vor allem Frauen aus der Babyboomer-Generation, die mit großer Selbstverständlichkeit Fehler und Schwächen an sich studieren. Für die „Eigenlob“ oder „Egoismus“ No-Gos sind. Die von Selbstbewusstsein mit hochgezogener Augenbraue reden, womit sie gleich klarmachen, dass sie das Wort als höfliche Umschreibung von Größenwahn benutzen, und die Selbstzufriedenheit für eine moralische Schwäche halten. „Es ist wunderbar, sich seiner selbst bewusst zu sein“, widerspricht die Expertin für Ausstrahlung und Persönlichkeit. „Denn dann ist man bei sich, nicht bei den anderen.“

Ein fehlender Draht zum Selbst – kurz: Selbstlosigkeit – macht einen zur Walnuss im Meer der menschlichen Beziehungen. Was die Frauen, die so gerne an sich herumkritteln, nur zu gut kennen. Kollegen, Kinder, Ehemann und Freunde würden unbesorgt Forderungen stellen, hört Regina Först nicht selten. Man kriegt es halt schnell spitz, wenn jemand keine Abfuhr erteilen kann. Und getreu der Devise „Je mehr ich für den anderen tue, desto eher werde ich gemocht, desto eher kann ich auch mich mögen“ machen es sich die Selbstlosen zur hoffnungslosen Aufgabe, allen Ansprüchen gerecht zu werden – außer den eigenen. „Diese Frauen kennen kein Nein.“

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Bleiben Sie realistisch

Wer ungefiltert aufnimmt, was von ihm verlangt wird, steckt in einer Sackgasse. Mal abgesehen davon, dass 24 Stunden nicht reichen, um alle Wünsche zu erfüllen: Solange man nicht gerade im Kloster lebt, wird man in unserer medial vernetzten, globalisierten Welt mit einer solchen Flut von Impulsen und Bildern bombardiert, dass es einem schwindlig werden kann. Da machen Frauen weit jenseits der 50 beim Ironman mit, absolvieren in Indien eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin, sehen aus wie 30-Jährige, werden IWF-Chefin – oder auch Mutter, wenn sie unbedingt wollen. Fünf Minuten Zappen suggerieren uns, Landhaus im Tessin, Konfektionsgröße 36 und Dr. med. seien das Mindeste.

Auch da müssen dringend Grenzen her. „Sich realistische Ziele zu stecken, ist okay“, sagt Regina Först. „Aber wir müssen uns klar sein, dass allein wir entscheiden, was wir für uns für richtig halten und was nicht.“

Aus Selbstkritik Eigenlob machen

Verantwortung für sich übernehmen heißt natürlich auch, sich für Lob und Bestätigung nicht auf andere zu verlassen. Das befreit. „Man sammelt gute Nachrichten, die man für sich hat. Das ist wie bei einer Wippe, die schlechten Nachrichten kommen von allein, wenn man nicht aufpasst. Da muss ein Gegengewicht geschaffen werden.“

Für den liebevollen und achtsamen Umgang mit sich selbst (und anderen) hilft es, ein- und dieselbe Sachlage neu bewerten zu lernen. Paradigmenwechsel nennen das Psychologen. Statt morgens im Bad Falten zu zählen, könnte man mit geschlossenen Augen den Duft der Creme schnuppern und spüren, wie weich die Haut ist. Statt sich Vorwürfe zu machen, dass im Ehealltag romantische Momente fehlen, könnte man sich ausgiebig auf die Schulter klopfen, dass die Beziehung schon so lange hält. Das schaffen nicht viele. Also, gut gemacht! Eins noch. Wer sich mit seinen Stärken und Schwächen akzeptiert, sich selbst also liebenswert findet, wird auch für andere liebenswerter – auch wenn dazu gehört, dass man nicht mehr alles mitmacht. Genau dieser Aspekt bringt in Regina Försts Seminaren die meisten Jasagerinnen dazu, es auch einmal mit einem Nein zu versuchen. „Wenn wir achtsam mit uns umgehen, eine eigene Meinung haben und nicht alles akzeptieren, leidet darunter niemand. Menschen fühlen sich im Gegenteil sicher, wenn ihr Gegenüber authentisch ist und Kontur zeigt. Wenn ihnen das bewusst wird, bekommen viele Frauen wieder die Kurve zu sich selbst.“

Klar, es gehört oft Mut dazu, Nein zu sagen, Fehler und Schwächen einzugestehen, Forderungen nicht zu erfüllen. Aber wenn die Freundin vom Beginn des Artikels das Unkraut Unkraut sein ließe und über den Käsekuchen sagen würde: „Ich hab mich so auf dich gefreut, ich hab zur Feier unserer Verabredung etwas gebacken“, dann würde uns doch das Herz aufgehen, oder? Gut möglich, dass wir ihr beim zweiten Kaffee dann endlich einmal sagen würden, wie sehr wir ihre Gelassenheit bewundern. Wer weiß, was sie für positive Botschaften für uns in petto hat.

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Richtig loben

Wer allein arbeitet, muss die Kunst des Eigenlobs beherrschen – sonst ist ja niemand da. Kreativ-Coach Heike Thormann hat sechs Tipps, wie man sich positives Feedback so gibt, dass es auch ankommt. Diese Tipps helfen auch außerhalb der Arbeit und bei anderen.

1. Gutes Wahrnehmen

Im ersten Schritt übt man, Leistungen, Erfolge und Qualitäten überhaupt wahrzunehmen. „Sie können sich nicht für etwas loben, was Sie gar nicht sehen.“

2. Nicht lange warten

Das Lob für eine konkrete Handlung sollte sofort erfolgen. „Nur so kann Ihr Gehirn das Lob auch passend zuordnen und mit dem auslösenden Ereignis verknüpfen.“

3. Konkret sein

„Alles gut“ ist eine nette Floskel. Lob wird aber viel besser verinnerlicht, wenn es sich auf konkrete Einzelheiten bezieht.

4. Sachlich bleiben

„Du bist toll“ klingt gut, lässt aber offen, was genau toll an uns ist – und das macht uns abhängig von der Gunst des Lobenden, warnt Thormann. „Wenn man Ihnen ohne Wertung erklärt oder Sie sich selbst bewusst machen, was Sie gut gemacht haben und warum das gut war, sind Sie in der Lage, es zu beurteilen, zu übernehmen und zu wiederholen.“

5. Üben, üben, üben

Sich vor anderen zu loben, kann heikel sein: Wo hört geteilte Freude auf, wo fängt Buhlen um Beifall an? Dann sind kleine Schritte ein prima Training, sagt Heike Thormann. „Ich bin ein Ass in Französisch“ klingt großspurig. „Klar reserviere ich das Hotel für dich, das klappt schon ganz gut mit meinem Französisch“ kommt besser an. Auch bei einem selbst.

6. Sich loben lassen

Kritik lassen viele ungefiltert in ihr Herz. „Doch bei Lob glauben wir, dass andere uns einen Gefallen tun wollen oder – zum Beispiel als Lehrer – irgendetwas Positives finden müssen.“ Ein klarer Fall, dass hier noch Handlungsbedarf besteht, sich selbst und seine Leistungen besser wahrzunehmen und stolz darauf zu sein. „Lernen Sie es, Lob anzunehmen. Sonst wird nichts aus dem Eigenlob.“

Mehr dazu auf www.kreativesdenken.com